Gregorianischer Choral

Franz Caiter

Die Gregorianik und ihre Neumenzeichen

Die Semiotik des Gregorianischen Chorals analysiert die Neumen nicht nach ihrer Erscheinungsform, welche sie im Mittelalter hatten (Cardine), sondern nach ihrer Struktur und Größe als musikalisches Intervall in der gegenwärtigen Quadratnotation. Allein aus der Quadratnotation können wir die Melodie eines Gesangs erkennen. Die Melodie aber setzt sich aus Intervallen zusammen und nicht aus isolierten Noten. Daß die Gregorianik den punctum, den tractulus und die virga Neumen nennt, ist ein Fehler. Sie sind keine Neumen, sondern Tonzeichen. Eine Neume ist immer ein zusammengesetztes Zeichen, das mindestens 2 Tönen umfaßt. Damit wird auch die Richtung des Intervalls definiert: Podatus nach oben und clivis nach unten. Die Dreitonneumen zeigen ebenfalls immer auch die Richtung der konstitutiven Intervalle an: Der scandicus und salicus nach oben und der climacus und ancus nach unten. Wir singen aber nicht die Neumen, sondern den Text darunter. Die erste Sorge des Sängers bei der Aufführung der liturgischen Gesänge aus dem Graduale der Editio Vaticana, Editio Typica soll die korrekte Betonung und die Aussprache des lateinischen Textes sein. Denn allein durch die Deklamation wird Sinn und Bedeutung des Textes (Semiotik) im Gesang erfaßt. Die Deklamation aber als „die Einheit von sprachlichen und musikalischen Gestaltung“ des Textes kommt nur zustande, wenn die Worte im Gesang deutlich, klar und ausdrucksvoll gesungen werden.

Caiter, F. (2014). Die Gregorianik und ihre Neumenzeichen (Kindle Edition).

Gregorianischer Choral: Domine, exaudi orationem meam | Benedictine Abbey Choir Of Munsterschwarzach
Quelle: Universal Music Group
Youtube: 8:03